Wir sind von Mustern umgeben, sowohl in der Natur als auch in unserem selbst geschaffenen Alltag, sei es bei der Bekleidung oder bei der Verzierung unserer Gegenstände und Wohnräume. Und eines Tages musste auch ich erstaunt feststellen, dass tatsächlich alle meine Lieblingsstücke gemustert sind. Als ich mich anschließend draußen genauer umsah, auf der Straße, bei der Arbeit, in meinem Freundeskreis, fiel mir auf, dass im Prinzip jeder dieses eine Teil hat, dass immer wieder auftaucht, dass er gerne anzieht oder gerne in die Hand nimmt, dass ihn immer wieder auffallen lässt. Und meist sticht es gerade durch sein Muster heraus. Ich fragte mich, was genau diese Teile zu unseren unangefochtenen Lieblingsstücken werden lässt. Ist es der reine Kontrast innerhalb eines Musters, der die Blicke in seinen Bann zieht? Ist es die emotionale Stimmung der visuellen Aussage, die sich von dem Muster auf seinen Träger und Betrachter überträgt? Ich ging den Mustern etwas tiefer auf den Grund, denn anscheinend sind wir uns nicht immer ihrer tiefen symbolischen und optischen Bedeutung bewusst.
„Die Notwendigkeit der Ornamentik ist psychologisch bedingt. Es gibt beim Menschen ein Gefühl, das als HORROR VACUI beschrieben wurde, die Unfähigkeit, leeren Raum zu ertragen.“
– Herbert Read, Art and Industry: The Principles of Industrial Design, 1934
Eine kurze Definition der Muster
Ein Muster besteht aus einem Motiv, einer Form oder einer Formgruppierung, die wiederholt oder abgewandelt miteinander in Beziehung stehen. Es ist an kein Grundformat gebunden und kann beliebig große Flächen überziehen. Die Form eines Motives kann simpel sein, sodass sie einer Wiederholung bedarf, um ästhetisch befriedigend zu wirken. Die Wiederholung eines Motives entwertet jedes einzelne Motiv zugunsten eines rhythmischen, ordnenden Elementes.
Aber was für Muster gibt es, welche sind die ausgeprägtesten in unserer Kultur? Aus dieser Recherche gingen die Geschichten der berühmtesten vier Muster unserer westlichen Welt hervor:
Blumen
Blumen gehören zu den gängigsten Mustern überhaupt, seit Jahrtausenden spielen sie in der Dekoration vieler Kulturen eine wichtige Rolle. Sie zeigen eine Beliebtheit und einen Variantenreichtum wie kaum ein anderes Musterelement.
Bereits im alten Ägypten stellten Lotusblumen ein weit verbreitetes Motiv dar. Im Mittelalter und in der Renaissance wurden Blumen oft mit moralischen Bedeutungen belegt und sollten Tugenden vermitteln, dazu bewiesen aufwändig gewebte Kleider mit opulenter Blumenpracht den Status Adliger. Auch zu Zeiten des Jugendstils, mit seinem Hang zum Dekorativen und seiner Vorliebe für Ornamentik ließen sich die Künstler von Blumen stark inspirieren. In den letzten Jahrzehnten bekam das Blumenmuster durch die Hippie-Bewegung wieder neuen Aufschwung. Blumenkinder wurden sie genannt, „Flower-Power“ war das Motto, bunte Batikgewänder und groß geblümte Kleider spiegelten den naiven Wunsch nach Frieden, Harmonie und Naturverbundenheit wider. Blumen sind in ihrer Form und Optik sehr flexibel und eignen sich daher sehr gut für große und kleine Rapporte, mit symmetrischer oder verstreuter Anordnung. Die Darstellungen reichen von detailliert und naturalistisch bis hin zu abstrahiert und verfremdet, Vielfalt bringt eine fast grenzenlose Farbpalette. Es gibt unzählige verschiedene Blumen mit verschiedenen Bedeutungen. Eine kleine Auswahl: Die Narzisse ist ein Symbol der Wertschätzung, der Krokus steht für den Frühling und jugendlichen Frohsinn, die Rose spiegelt Liebe und Perfektion wider. Die Tulpe steht für Ruhm, die Mohnblüte für Träume, Lilien für Reinheit. Blumen haben stets eine kraftvolle Mustersprache, ob altbacken wirkend auf angestaubten Teetassen oder zeitgenössisch auf engen Röhrenjeans.
Paisley
Das heute sehr bekannte und beliebte Paisleymuster wurde im 17. Jahrhundert durch den Import gewebter Schals aus Indien nach Europa eingeführt, seinen Ursprung hat das Muster allerdings bereits im 15. Jahrhundert in Persien. Nachdem Queen Victoria sie zu einem Modetrend gemacht hatte, begannen einheimische Weber, die kostbaren Stoffe aus heimischer Wolle auf Jaquard-Webstühlen nachzuahmen, um der breiten Masse erschwingliche Paisleyschals anbieten zu können. Im 19. Jahrhundert erlangten aufgrund ihrer enormen Beliebtheit diese auf europäischem Boden gefertigten traditionellen orientalischen Musterstoffe eine große Bedeutung, besonders in der schottischen Stadt Paisley, welche dem Muster letztendlich seinen heutigen Namen gab.
Typisch für Paisleymuster sind gebogene, detailreiche Ranken und Blumenformen, welche meist zusammen mit einem bestimmten, leicht wiedererkennbaren Motiv auftauchen. Häufig kommt hier die weit verbreitete kommaförmige Birne als Form vor, Boteh genannt. Boteh heißt auf Persisch so viel wie blühender Strauch. Traditionell kommt das Muster oft in Rottönen vor. Amerikanische Jugendgangs tragen oft als Erkennungsmerkmal ein Bandana im Paisleymuster. Das Paisley ist in allen Gesellschaftsschichten beliebt, durch alle Jahrhundert hinweg. Das mag daran liegen, dass es so vielfältig interpretierbar ist, jeder kann darin seine eigene Geschichte lesen – ob traditionell, psychedelisch, orientalisch oder konservativ.
Polka Dots
Was haben Rock’n’Roll, Minnie Maus und Fliegenpilze gemeinsam? Sie werden von einer Schar an kleinen, runden Punkten überzogen. Das Pünktchenmuster kam Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals in England auf und verdankt seine Bezeichnung dem Zufall, dass zu der Zeit auch der Polka-Tanz sich großer Beliebtheit erfreute. Abgesehen von dieser zeitlichen Verbindung gibt es keine weiteren Gemeinsamkeiten, mehrere andere ebenfalls unter dem Namen Polka bekannten zeitgleichen Trends konnten sich dagegen nicht halten. Das klassische Muster besteht aus gleich großen, gefüllten Punkten, welche in immer gleichen Abständen zueinander gesetzt sind und einen geometrisch geordneten Eindruck vermitteln. Moderne Pünktchenmuster können auch verschieden große, bunte Punkte in einer willkürlichen oder unregelmäßigen Anordnung beinhalten.
Besonders in den 1950er Jahren kamen die Punkte gut an, auf schwingenden Petticoats und Blusen spiegelten sie den zuversichtlichen Lebensstil der Wirtschaftswunder-Generation wider. Es zeigt gleichzeitig den Eindruck kindlicher Unbeschwertheit und gediegener Zuverlässigkeit, es kann konservativ und verspielt wirken, vor allem aber feminin. Auch viele Flamencotänzer oder andere professionelle rhythmische Künstler wählen gepunktete Kleider auf der Bühne. Vorzugsweise sieht man die Punkte in einer Zweierkombination aus den Farben schwarz/weiß/rot, der sich somit ergebende Eindruck ist sowohl klassisch und klar als auch verspielt und zeitlos. So kann das Vintage-Kleid der Großmutter problemlos auch heute getragen werden und verliert nie seine Wirkung.
Karo
Konservativ und beliebt: Kleinkariert ist seit Jahrhunderten populär auf der Insel. Heute brillieren besonders Labels wie Burberry mit dem geometrischen Dauerbrenner. Das Karomuster, auch Tartan, stammt ursprünglich allerdings aus China. Die ältesten Funde können auf ca. 3500 v. Chr. datiert werden und dienten als Hüte für Jadefiguren. Auch Japan pflegt seit dem 18. Jahrhundert eine Tradition mit den kleinen Karos. Schon in alten römischen Schriften wurde es auch als prägendes Element schottischen Designs erwähnt. Bei karierten Mustern handelt es sich um Entwürfe aus sich kreuzenden horizontalen und vertikalen Streifen in einer oder mehreren Farben, die eingewebt oder gedruckt sein können. In den Anfängen in Schottland wurden die verschieben Farbtöne nur durch das Verwenden von heller und dunkler Schafwolle erlangt, später wurden die Fäden dann auch gefärbt, ein klassischer Tartan besteht üblicherweise aus mindestens drei Farbnuancen.
Die verschiedenen Tartanmuster standen zunächst für verschiedene Regionen, später auch für die einzelnen Clans. Ab dem Jahre 1815 wurden die diversen Tartans der Clans offiziell registriert, es sind inzwischen weit über 2500 verschiedene Muster. Nachdem das Tragen von clanzugehörigen Tartans von 1746 bis 1782 verboten war, wurde das Muster anschließend wieder sehr populär, gerade auch durch Queen Victoria, die im 19. Jahrhundert mit ihrer Vorliebe für alles Schottische auch das Karomuster verbreitete. Seinem Träger verleiht das Karomuster durch seine statische, geometrische Form eine gewisse Bodenhaftigkeit und Seriosität. Das Muster hat eine lange, traditionsreiche Geschichte und strahlt ein recht konservatives Bewusstsein für klassische Kleidung aus. So wird es auch gerne im Countrybereich als Zeichen des amerikanischen Traums verwendet, da es in rauen Flanellstoffen Fleiß und Tüchtigkeit symbolisiert. Die Punks und Grunge-Anhänger dagegen verwenden das Tartanmuster gerne in rot/schwarz, den Farben der Anarchie, um mit konservativ angelehnten Elementen ihren provokativen Kleidungsstil zu betonen. In Deutschland ist das Karomuster vor allem in Bayern beliebt und erfreut sich bei Trachtenblusen und Tischdeckchen großer Beliebtheit. Hier ist es ein Zeichen von Heimatverbundenheit, Bescheidenheit und Ordnung.
Aber warum tragen wir Muster?
Der Gebrauch von Kleidung stellt eine symbolische Auseinandersetzung mit dem Gegeneinander von gesellschaftlicher Forderung und persönlicher Entfaltung dar. Es gibt mehrere Motivationen, ein gemustertes Kleidungsstück zu tragen:
Der älteste Grund, ein gemustertes Kleidungsstück zu tragen, ist ein inhaltlicher oder symbolischer. Diese Motivation war zu anderen Zeitaltern noch verbreiteter, als religiöse oder kulturelle Zeremonien oder Bedeutungen noch mehr Wert hatten.
Eine andere Möglichkeit ist die geschickte Hervorhebung seiner figürlichen Vorzüge, auch unter den Gesichtspunkten modischer Trends. Wenn man eine Partie seines Körpers, mit der man besonders zufrieden ist, betonen möchte, geht das am besten mit einem auffälligen Muster und kontrastreichen Farben. Denn so rücken die Stellen, die man lieber kaschieren möchte kombiniert mit gedeckteren, dunkleren Farben leicht in den Hintergrund.
Des Weiteren kann ein Grund sein, dass man ein Muster schlichtweg trägt, weil es einem gefällt. Ohne auf eine weitere Aussage abzuzielen oder einen Grund für die Auswahl des Kleidungsstückes zu haben, wird es getragen. Meist auch ohne weiterreichende Gedanken über eine eventuell stattfindende Kommunikation. Hier kann das Muster im besten Fall die Persönlichkeit des Trägers unterstützen und seine Expressivität zeigen, im schlechtesten Fall eine ungewollte, vielleicht negativ ausfallende kommunikative Wirkung haben oder ihm nicht stehen. Dennoch ist es psychologisch gesehen ein guter Grund, denn in expressiver Kleidung können Menschen ihre Illusionen in der heutigen Zeit leben. Es ist rein ihre persönliche Möglichkeit und kein gesellschaftliches Prinzip, kein Trend. Es gibt Wissenschaftler, die das sich schön kleiden als eine sinnlich-ästhetische Stimulierung sehen, die immun ist gegen die heutige Sättigung der Gesellschaft in Bezug auf erregende Höhepunkte des Konsums.
Die kommunizierte Botschaft hängt aber nicht nur vom Träger des Musters ab. Natürlich sendet er mit der Wahl seiner Kleidung Signale nach außen, aber man muss auch fragen, für wen diese Signale sich in welchen Inhalt verwandeln. Denn dies ist auch bei jedem Menschen individuell geprägt, jeder sieht etwas anderes aus seinen Erwartungen und seiner Vorgeschichte heraus.
„Muster können wie Texte interpretiert und gelesen werden.“
– Diana Newall und Christina Unwin, Die Geschichte der Muster, 2012